Mein Brief an den Tiger
Hi Tiger,
Post für Dich aus Deutschland, Germany. Ein Brief von mir, von Hans-Heinrich Reichelt.
Du kennst mich nicht. Du hast (leider!) nie mit mir gegolft. Und ich bin sicher, es wird auch in Zukunft nie zu einer gemeinsamen Runde kommen.
Ich habe Dich oft gesehen!
Unzählige, nächtelange TV- Runden bin ich mit Dir gegangen. Nach grandiosen Schägen oder Super-Putts hast Du die Faust geballt, und wenn Du dich gefreut hast, dann konntest Du lachen wie Hollywood-Star Denzel Washington.
683 Wochen Nr. 1
Und ich habe Dich oft lachen sehen! Schließlich warst Du 683 Wochen die Nummer 1 in der Golfwelt. Niemals vor Dir war ein Golfer jemals so lange der Weltbeste - und niemals nach Dir wird jemand mehr als 12 Jahre die Weltrangliste anführen.
Du bist mein Held!
Und nicht nur mein Held!
Millionen Menschen verehren Dich!
Millionen Golfer wünschen sich, sie hätten Deinen eleganten, unglaublich dynamischen Schwung!
Millionen kennen Deine Geschichte. Dass Dein Vater Dich schon als Knirps Tiger nannte - weil Du eben der Beste warst. Du hast noch Windeln getragen, als Du mit zwei Jahren auf dem Putting-Green gestanden hast! Begleitet von surrenden Fernsehkameras!
Hunderte von Millionen Dollar liegen auf Deinen Konten!

Und nun?
Nun bist Du in einer Entzugsklinik - irgendwo in Amerika. Du bekommst keinen Besuch, Du bist in der Obhut von Ärzten und Schwestern. Von Menschen, die Dir helfen werden, aus dem Wrack Tiger Woods wieder einen Mann zu machen, der aufrecht gehen kann.
Ja, aufrecht gehen!
Was waren das für Bilder, die die Welt schockiert haben. Als Polizisten Dich nachts auf dem Military Trail in der Stadt Jupiter in Florida antrafen, lief der Motor Deines schwarzen Mercedes. Der rechte Blinker blinkte. Die beiden Reifen auf der Fahrerseite waren platt, die Stoßstangen hatten Beulen.
Und Du hast hinter dem Steuer gesessen und geschlafen. Die Polizisten mußten Dich wachrütteln!
Du hast sie verwirrt, denn sie konnten nicht glauben, dass sie den größten und besten Golfer der vergangenen 20 Jahre vor sich hatten.
Ich bin sicher - Du tatest ihnen leid. Und am liebsten hätten sie Dich in den Arm genommen und nach Hause gebracht, ins Bett gelegt.
Drogen-Alkohol-Ritual
Aber das durften sie natürlich nicht. Sie ließen Dich das übliche Drogen-Alkohol-Ritual exerzieren und filmten es. Du mußtest - möglich gerade - auf einem weißen Asphaltstrich gehen. Du mußtest das ABC aufsagen…und fragtest mit schwerer Stimme, ob du wirklich die Nationalhymne rückwärts singen solltest…!
Die Videos der Polizisten aus dieser Nacht gingen um die Welt.
Welch schreckliche Bilder! Sie sind das Dokument eines tiefen Falls! Armer Tiger.
Golf ist ein Kampf gegen sich selbst, und diesen Kampf schienst Du verloren zu haben.
Oder?
Nein, Tiger, Du hast den Kampf nicht verloren!
Du bist ein Kämpfer.
Du hast Dich freiwillig in eine Suchtklinik eingewiesen.
Mittlerweile wissen wir, was Du in Deinem Körper hattest!
Vicodin, ein Schmerzmittel, das zu Bewusstseinsstörungen führen kann. Turox, ein in den USA nicht zugelassenes Schmerzmittel, das zu starker Müdigkeit führt. Soloxex, noch ein Schmerzkiller. Sowie Vioxx, ein nicht mehr zugelassenes Schmerzmittel. Wer die Warnung von Ärzten vor einer täglichen Aspirin-Tablette kennt, mag ahnen, was das Betäubungsbombardement in Deinem Körper angerichtet hat!
Ist es ein Wunder, dass Du Dich vollgepumpt hast mit all diesem Teufelszeug?
Nein, für mich nicht.
Immer wieder Schmerzen
Sieben Operationen hast Du in Deiner Profi-Karriere seit 1996 ertragen. Immer wieder das Knie, immer wieder der Rücken. Wie oft hast Du unter Schmerzen gespielt…und gewonnen …und ich möchte nicht wissen, wie sehr Deine Seele schmerzt. Die Ehe kaputt, eine wunderbare Partnerschaft mit einer rasanten Ski-Ikone zerbrochen. Die Frauen, bei denen Du in die Venus-Falle getappt bist, haben Dich elendig verraten.
Und dann immer die Angst, das Teil-Sorgerecht für die Kinder zu verlieren.
Tiger, wer ohne Fehler ist, der werfe den ersten Golfball.
Alte Liebe, neue Liebe, gescheiterte Geschäfte, gelungene Geschäfte, falsche Entscheidungen, richtige Entscheidungen – im Grunde ist Dein Leben wie das Leben von uns allen auf dieser Welt!
Wir haben allerdings einen Riesenvorteil Dir gegenüber! Unser Leben, unsere Krankheiten, unsere Süchte, unsere Fehltritte werden nicht genüßlich von der ganzen Welt seziert.
Ich bin froh und dankbar, als ganz normaler Heiner ein Leben ohne Paparazzi und Handyreporter gelebt zu haben und zu leben.
Sie wären gut beschäftigt gewesen in meinem Leben!
Und weil es so ist wie es ist, mein lieber Tiger!
Deshalb bleibst Du mein Held!
Bleibe so lange in der Klinik, bis du gesund bist. Lasse Dich keine Sekunde zu früh entlassen.
Denn dann schläfst Du auch nicht mehr nachts am Steuer Deines schwarzen Mercedes, sondern da, wo es viel gemütlicher ist, und wo Dich nicht die Cops wachrütteln: in Deinem Bett!