Steinmetz Andreas Boldt - ein Gespräch über golfen und sterben
- HHReichelt
- 13. Okt.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Okt.
In meinen 40 Golfjahren bin ich immer wieder Menschen begegnet, die mich neugierig gemacht
haben, die mich faszinieren, bewegen, berühren, die mich erschüttern, beeindrucken, die mich

Andreas und Ina: Ein langer Drive für ein langes und glückliches Eheleben!!!
amüsieren, anregen und aufregen, denen ich gern zugehört habe, wenn sie aus ihrem Leben erzählten - das sind alles Menschen, von denen ich euch schon oft in meinem Golfblog berichtet habe.
Heute erzähle ich euch die Geschichte von Andreas Boldt - er kann den Ball gut und gern 200 Meter driven. Er kann den Ball auch locker aus 80, 90 Metern ‚tot‘ an den Stock legen.

Happy hours beim Ryder Cup - Ina und Andreas
Er ist Mitglied im renommierten Golf-und Landclub Gut Kaden, ist verheiratet mit seiner wunderbaren Frau Ina, die er vor zehn Jahren auf unserem einstigen gemeinsamen heimatlichen Fairway kennen-und lieben gelernt hat.

Vor allem ist Andreas Boldt ein Mensch, der gern und herzhaft lacht ist.
Andreas Boldt ist Bildhauer und Künstler mit Leib und Seele, er ist Steinbildhauer-und Steinmetzmeister. Als studierter Industriedesigner hat er schon viele Kunstwettbewerbe gewonnen. Seine Arbeiten sind beispielsweise in der Dresdner Frauenkirche, auf öffentlichen Plätzen oder in privaten Gärten zu sehen. Und vor allem auf Friedhöfen, denn Andreas Boldt hat sich auf Grabsteine fokussiert. Mehr als 200 Grabmale entstehen Jahr für Jahr in seiner Ellerauer Werkstatt, Felsen und Formsteine, sogenannte Breitsteine, Kissensteine und Urnengemeinschaftsanlagen. „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können,“ zitiert Andreas Boldt Jean Paul, den deutschen Dichter und Schriftsteller, der vor 200 Jahren in Bayreuth verstorben ist.
Mindestens 1000 Mal bin ich an seiner Werkstatt in Ellerau vorbei gefahren, wo er, buchstäblich in Stein gemeißelt, die wichtigste Frage der Welt in Szene setzt. Die Frage, die Ihr Euch vermutlich auch schon mal gestellt habt: Was soll mal auf meinem Grabstein stehen? Auch dann, wenn Ihr keinen Stein wollt. Oder wenn Eure Asche ins Meer gestreut oder unter einem Baum vergraben werden soll. Heute halte ich an bei Andreas Boldt an. Ich habe festgestellt, dass ich keine Antwort auf diese Frage nach dem Tod habe. Und damit eigentlich auch keine auf die davor: Wer bin ich eigentlich? In drei, vier, fünf unvergänglichen Worten zusammengefasst?
Ich habe mit Andreas gesprochen. Natürlich über Golf, über den Tod und über das Leben. Über Tränen, Friedhöfe und über eine revolutionäre Idee. Es war ein Gespräch, wie ich es lange nicht mehr geführt habe.
Seit über 20 Jahren führt Andreas Boldt in Ellerau die Steinwerkstatt. An seiner Seite Thomas Leicher, Steinmetz und treue Seele, ein Mann für alle Fälle, der unerschütterlich das Rückgrat der Steinwerkstatt und aus dem Betrieb nicht wegzudenken ist. Bevor Andreas Boldt Grabsteine gefertigt hat, hat er Objekte für Küchen, Bäder, Gastronomie entworfen. „Gestorben wird immer,“ hat er sich irgendwann gesagt…und Küchen Küchen sein lassen.
„Es gibt zwar einen Wandel,“ so Andreas Boldt, „viele Menschen finden mittlerweile ohne Stein die letzte Ruhe im Friedwald oder im Rahmen einer Seebestattung, aber die meisten Verstorbenen finden die ewige Ruhe unter einem Stein.“ Beliebt sind mittlerweile sogenannte Urnengemeinschaftsanlagen, denn der Anteil der anonymen Urnenbeisetzungen ist gering. Andreas Boldt:
„Die Angehörigen wollen wissen, wo der Verstorbene beigesetzt wurde, um dort inne zu halten. Das ist im Rahmen der Trauerbewältigung ein ganz wichtiger Punkt.“
Urnengemeinschaftsanlagen sind in der Regel gesonderte Plätze auf dem Friedhof, die von einem Bildhauer, Architekten oder vom Friedhof selbst angelegt sind und ein fertiges Erscheinungsbild darbieten.
Menschen können in diesen Anlagen einen Platz erwerben und den entsprechenden Stein für den Verstorbenen beschriften lassen. Natürlich kann jeder auch auch schon zu Lebzeiten einen oder mehrere Plätze reservieren.
Andreas Boldt Steinwerkstatt hat auf dem Friedhof Garstedt fünf Urnengemeinschaftsanlagen erstellt, die als wunderschöne parkähnliche Anlage auf Basis rührender Märchengeschichten konzipiert wurden.

Andreas Boldt in seiner Ellerauer Werkstatt
Jedes Grab kann bis zu zwei Urnen umfassen und man kann kleine Pflanzschalen und Schnittblumen auf dem Grab dekorieren.
Rundherum sind Parkbänke zum stillen Gedenken an die Verstorbenen aufgestellt. Ansonsten wird die Bepflanzung und Pflege der Anlage rund um die mittige Märchenskulptur vom Friedhof je nach aktueller Jahreszeit geregelt. Die Hinterbliebenen müssen sich also um nichts weiter kümmern.
Andreas, welche Fragen werden Dir sehr häufig gestellt, wenn es um den Grabstein geht?
Beispielsweise:
Können Sie ein bestimmtes Symbol auf den Stein arbeiten?
„Selbstverständlich. Als klassisch ausgebildeter Steinbildhauer können wir jeden Wunsch in den Stein umsetzen. Ob ein Herz, eine Rose, ein Segelboot, ein Leuchtturm, eine Möwe, ein Baum oder z.B. das Logo des geliebten Fußballclubs - wir verleihen dem Grabstein gern eine individuelle Note.“

Wer stellt den Stein auf?
„Selbstverständlich wir. Als Meisterbetrieb gewährleisten wir zusätzlich die Standsicherheit aller von uns aufgestellten Steine für zehn Jahre.“
Woher beziehen Sie Ihre Steine?
„Wir arbeiten nur mit Lieferanten zusammen, die über branchenübliche Zertifikate verfügen und sich zu Lieferketten bekennen, die frei von Kinder-oder Zwangsarbeit sind. Mehr als 80 Prozent der von uns verarbeiteten Natursteine werden in Skandinavien oder Deutschland abgebaut.“

Bevor Andreas Zahlen, Daten, letzte Gedanken und Symbole in den Stein einbringt, gibt es das Gespräch mit den Hinterbliebenen in seinem Atelier. Es sind oftmals emotionale Gespräche - aber besonders beratende Gespräche. „Der Stein, das Grab,“ so Andreas Boldt, „ soll den Menschen gerecht werden. Es ist für die Hinterbliebenen eine Anlaufstelle. Der Platz muss sie trösten, soll trotz aller Trauer ein positiver Ort der Erinnerung bleiben.“
Andreas, ich denke, es ist ein Unterschied, ob die Menschen für ihren 80jährigen Opa Willi einen Stein aussuchen, oder ob Eltern bei Dir über ihre Kinder reden, die sie viel zu früh verloren haben…
Wie wahr. „Aber,“ so Andreas Boldt, „es sind die Eltern, die mir den Weg geebnet haben, mit dieser Trauer umzugehen…“

Das musst Du uns erklären.
Und Andreas Boldt erklärt, wie ihn die einstige Chefin des Hamburger Kinder-Hospiz Sternenbrücke dazu inspiriert hatte, einen Engel aus Sandstein zu schaffen. Andreas Boldt: „Sie erzählte mir von ihrem Plan, einen Erinnerungsgarten auf dem Hospizgelände anzulegen. Und sie fragte mich, ob ich dafür einen großen Engel aus Sandstein fertigen könne. Ich war sofort begeistert.“ Aus dem Engel wurde mehr…einmal die Woche hat Andreas Boldt mit den Eltern, den Geschwistern, manchmal auch mit den schwerst erkrankten Jungen und Mädchen Figuren aus Ton und Speckstein, also lauter kleine Kunstwerke geschaffen. „Da waren wir natürlich unglaublich kreativ - wir haben gelacht, geweint. Wir haben Gefühle ausgetauscht. Ich habe gelernt, mit den Emotionen umzugehen. Wir haben Vertrauen zueinander gefunden, und letztendlich konnte ich den Eltern dann helfen, ein schönes Grabmal für ihr Kind zu gestalten.“
Es klingt ein bißchen verrückt - aber tatsächlich ist es so: Normalerweise ist es bedrückend, über den Tod zu sprechen - mit Andreas Boldt über den Abschied vom Leben zu sprechen, hat auch etwas Leichtes, etwas Befreiendes. Der Tod gehört zum Leben - so kommt es von ihm rüber. Und so ist es ja auch. Es gibt niemanden, der lebend aus dem Leben rauskommt.

So fällt es Andreas Boldt auch relativ leicht, persönliche Fragen zu beantworten. Beispielsweise die Frage, wie denn das Grab seines vor zehn Jahren gestorbenen Vaters aussieht…
„Ich habe vier Grabstätten nebeneinander gekauft - für meinen Vater, meine Mutter, meine Schwester und mich. Es ist eine große Familiengrabstätte, parkähnlich angelegt. Viele Menschen verweilen dort, um sich die Grabstätte anzugucken. Und ich habe Platz für eine Bank geschaffen, da kann meine Mutter, die seit zehn Jahren täglich zu meinem Vater kommt, sitzen, sich ausruhen, im Zwiegespräch mit ihrem Mann sein.“ Pause, dann: „Es ist also ein Platz, wo sie immer gern hingeht.“
Das ist die Grabstätte von Andreas' Vater
Ja, diesem Andreas Boldt ist ein Abschiedsplatz, an dem das Andenken gewürdigt wird, sehr wichtig. Dabei geht es ihm nicht um die Größe des Steines, ihm geht es um die Erinnerung an den Toten. „Weißt Du,“ sagt er mir, „auf allen Golfplätzen, die ich kenne, gibt es im Clubhaus mächtige Tafeln, auf denen die jeweiligen Clubmeister namentlich dargestellt werden. Aber ich habe noch keinen Golfplatz gesehen, auf dem auf einer Ehrentafel die Namen der verstorbenen Mitglieder stehen und auf diese Weise an sie erinnern. Es gibt auf den Golfplätzen unter Tausenden von Bäumen, unzähligen Wasserstellen, idyllische Ecken ausreichend Platz, um einen Golffreund oder eine Golffreundin in Erinnerung zu behalten.“
Ich stell mir meinen Stein an meinem Lieblingsplatz vor, auf dem ich Tausende von Meilen gegangen bin. Irgendwo liegt ein Stein, auf dem vielleicht das gleiche steht wie auf meinem Schreibtisch als junger stellvertretender Chefredakteur: „Heiner seiner“. Am liebsten unter einem Baum. Unter einer Birke, die ich vor vielen Jahren selbst gepflanzt habe. Das wär’s.
Eine revolutionäre Idee! „Nein,“ sagt Andreas, „das ist nicht revolutionär…das sollte normal sein.“
Mit einer wirklich revolutionären Idee biegt Andreas Boldt allerdings jetzt um die Ecke - er nennt es Kommunikation. Und er erklärt die Idee, das Ergebnis trauriger Wirklichkeit. „Viele, viele Menschen auf den Friedhöfen bekommen keinen Besuch von ihren Angehörigen. Wir arbeiten mit einem kleinen Team gerade daran, ein völlig neues Produkt zu entwickeln, mit dem man von überall auf der Welt Kontakt zum Verstorbenen haben kann.“

Wie bitte? „Ja, wir entwickeln eine technische Hardware, die in den Grabstein eingearbeitet wird, die widerstandsfähig gegen tiefste Minusgrade und höchste Temperaturen ist. Und auf diese Platine könnte man dann dank einer speziellen Software Grüße vom Smartphone übermitteln…man kann drauf sprechen. Hallo, Mami, ich vermisse Dich. Hallo Onkel Willi…ich denke so oft an Dich, oder hallo Papa, ich hab’ Dich lieb, ich bin grade in Amerika, aber ich denke ganz doll an Dich…“
Andreas Boldt weiter: „Das wird eine ganz neue Möglichkeit, die Trauergeschichte zu bewältigen.“

Perfektes Team: Andreas Boldt (l.) und Thomas Leicher
Das ist ja eine Riesenidee für ‚Höhle der Löwen‘! Andreas Boldt schmunzelt: „Da gibt es auch schon einen Kontakt. Aber zuvor müssen wir sicherstellen, dass die Technik hundertprozentig funktioniert.“
Andreas, eine persönliche Frage, aber eine Frage, die ich stellen muss.
Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie Dein Stein auf Deinem Grab aussehen könnte? Gibt es da eine Vorstellung?
Ja, Andreas hat eine Idee.
Es wir wahrscheinlich ein rötlicher Granit, zwei Meter hoch.
Welche Thematik wird der Stein haben?
Andreas: „Mein Vater war Fallschirmspringer. Ich bin Fallschirmspringer. Ich bin auf dem Flugplatz groß geworden. Wir alle haben ein Leben lang in den Himmel geguckt…Und so wird mein Grabmal sein. Eine lebensgroße Figur, die in den Himmel guckt.“

So sieht Liebe aus! Andreas und Ina!
Ein Gespräch geht zu Ende. Ein Gespräch voller Emotionen. Zwei Männer, die sich oft auf dem Golfplatz begegnet sind, die auf der Clubterrasse beim Glas Wein gelacht und philosophiert haben - zwei Männer, die zum erstenmal gemeinsam über Leben und Tod gesprochen haben. Und natürlich über Golf, über die Erlebnisse beim Ryder Cup in Rom und darüber, worüber sich Andreas riesig freuen kann. Worüber Andreas? „Ganz ehrlich, Ina hat Handicap 7, ich hcp 11. Sie hat einen verdammt langen Drive. Wenn ich sie tatsächlich mal ausdriven kann, freue ich mich wie ein kleiner Junge…“
Und wie reagiert Ina? „Die freut sich dann mit mir…das ist Liebe. Oder?“










































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